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Erinnerung an Perpignan im Dezember 2019

 

Den Lockdown mit schönen Erinnerungen an vergangene Reisen erhellen: Erinnerung an Perpignan und Umgebung

 

 

 

Vor einem Jahr, im Dezember 2019 war ich bei schönstem Sonnenschein an der Côte Vermeille in Port Vendres bei Collioure und danach in Perpignan, mitten im Bahnstreik der SNCF. Es brodelte schon seit Jahren in Frankreich und es hatte 2019 schon länger Streiks gegen die Reform des Arbeitsrechts in Frankreich gegeben. Aber erst, nachdem ich dort angekommen war, ging der unbegrenzte Generalstreik los, der bis in den Januar 2020 dauerte. Komisch, wie lange das jetzt her zu sein scheint. Ich kaufte mir in Perpignan sicherheitshalber für 50 Euro ein zusätzliches Rückfahrtticket nach Brüssel mit dem Flixbus. Die SNCF stornierte tatsächlich später kurzfristig alle Züge, erstattete mir aber den Preis für den stornierten Zug zurück.

 

Es war ein bisschen Aufregung im Spiel, in Perpignan wurde fast täglich irgendwo gestreikt und Straßenkreuzungen blockiert. Die Busfahrer boten den Fahrgästen an, auszusteigen, falls sie keine Lust hatten, das Ende der Blockade abzuwarten und vielleicht noch ein paar Besorgungen zu machen und dann später wieder einzusteigen, falls der Bus noch dort stand. Aber im Rückblick war es die beste Entscheidung, diese Reise zu machen, denn danach ging für eine Weile nicht mehr allzu viel.

 

Collioure war romantisch wie eine Postkarte, Palmen säumten die Strandpromenade im Sonnenschein. Man saß auf den Caféterrassen am Meer und trank den schwersüßen Banyuls Rotwein der Region. Man hätte glauben können, der Weltfrieden sei ausgebrochen, obwohl die Welt damals genauso voller Kriege und Bürgerkriege war wie jetzt auch. Aber in typisch eurozentrischer Manier nehmen wir sie wie ein permanentes Grundrauschen in der Ferne statt. Als hätten wir damit nichts zu tun. Auf der Mole steht die 1701 erbaute Chapelle St. Vincent, der nach der Legende an dieser Stelle den Märtyrertod erlitten haben soll. Es ist trotzdem ein friedliches Plätzchen, man sitzt auf den Stufen der verschlossenen kleinen Kapelle in der Sonne und lauscht der Musik der Brandung. Daneben führt eine Treppe hinunter zur Mole, in einer geschützten Ecke steht eine Bank, auf der Menschen im Windschatten die Sonne genießen. Ein Ehepaar erzählte mir, dass sie ihr Haus im Burgund verkauft hatten und jetzt hier unten ihren Lebensabend verbrachten, zum Glück ganz in der Nähe ihrer Kinder und Enkelkinder. Im Sommer ist Collioure voller Touristen, der Spätherbst ist dagegen traumhaft ruhig und das Klima ist hier besonders mild.

 

Es gibt eine Bahnverbindung von Port Vendres nach Perpignan. Seitdem ich nur noch mit der Bahn reise, suche ich mir Unterkünfte in Orten mit einem Bahnhof oder mit sehr guter Busverbindung zu einem Bahnhof. Die Busfahrten sind sehr preiswert an der Küste und die gesamte Strecke kann man für ein oder zwei Euro entlang fahren. Der Bus von Port Vendres fährt fast eine Stunde lang über Collioure, Argelès-sur-mer und Elne nach Perpignan. Argelès scheint fast nur aus Ferienwohnungen zu bestehen und im Winter gähnen riesige leere Parkplätze die Vorbeifahrenden an. Die Protagonisten aus Maja Lundes Roman „Wasser“  fliehen vor den Dürrebedingten Bränden aus Argelès-sur-mer. Der Roman spielt Mitte des 21. Jahrhunderts, Hitze und Dürren haben Südeuropa austrocknen lassen und Brände verheeren die ganze Gegend um Argelès. Ich hatte das Buch vor meiner Reise zufällig gelesen und betrachtete die Landschaft mit dem Bild des zukünftigen Horrorszenarios im Kopf, hielt es aber für übertrieben. Doch dann brannten Kalifornien und die amerikanische Westküste in Sommer 2020 verheerender als je zuvor.

In Elne gibt es drei Sehenswürdigkeiten, die man nicht versäumen sollte: das mittelalterliche Kloster und seine Kathedrale mit angeschlossenem kleinem Museum, dann die Maternité Suisse im Schloss Chateau d’en Bardou und zum Abschluss die Weinbar „Le Casot d’Elne“ mit ihrer tollen Terrasse und sehr aktiven Kleinkunstbühne. Rudy Morin, der Sohn des Inhabers des Casot d’Elne, hatte noch 2019 jede Menge Auftritte mit seiner Rockband „Les Désallumés“. Ihr Markenzeichen ist ein Blaumann, in dem sie uneitel über die Bühne jagen und in wilden Sprüngen durch die Konzert Locations der Umgebung jagen. Ich hatte das Glück, am 7. Dezember eins ihrer Konzerte im Vinochope miterleben zu können, es war super.

Die Kathedrale Ste. Eulalie et Ste. Julie mit ihrem angrenzenden Kloster ist eins der bedeutendsten Bauwerke der Region. Elne war nach dem Niedergang des römischen Reiches Bischofssitz, denn Elne hatte eine bedeutende geographische Lage, nahe am Meer, jedoch weit genug entfernt, um vor Angriffen geschützt zu sein und lag gleichzeitig auf der Strecke nach Spanien. Als im 12. Jahrhundert die Pilgerfahrten nach Santiago de Compostela ihre Blüte erreichten, profitierte Elne von seiner Lage am Chemin de Piemont, einem Nebenweg der großen Pilgerwege. Später verlagerte sich der Sitz der Macht nach Perpignan und Elne ist heute nur noch eine Kleinstadt in der Nähe von Perpignan.

 

Schweizer Hilfsorganisationen gründeten 1939 die Entbindungsstation „Maternité Suisse“ für schwangere Frauen aus den französischen Flüchtlingslagern des spanischen Bürgerkriegs.  Hier wurden 603 Kinder aus über 20 Nationen geboren. Nach der Niederlage der Republikaner gegen die Franco-Truppen im spanischen Bürgerkrieg flüchteten 1939 fast eine halbe Million Menschen aus Spanien Richtung Frankreich, wo sie unter unvorstellbaren Bedingungen in Lagern lebten. Schweizer Hilfsorganisationen leiteten die Entbindungsstation von 1939 bis 1944, als die Deutschen Truppen die Gegend besetzten. In vielen jetzigen Urlaubsorten an der Côte Vermeille gab es riesige Flüchtlingslager, in denen nach 1942 auch verfolgte Menschen jüdischen Glaubens unterkamen. Zwei von ihnen waren aus Niedermerz, einem Nachbardorf meines Wohnorts in Deutschland, die Brüder Elkan. Sie waren in einer abenteuerlichen Tour bis Südfrankreich geflüchtet und strandeten in einem der Flüchtlingscamps, die übrigens in französich "camp de concentration" heißen. Erich überlebte und ging später nach Brüssel. Seine Tochter Sophie veröffentlichte seine Biographie unter dem Titel Prisonnier 160008.

 

In Perpignan hatte ich über Airbnb eine Wohnung in der ehemaligen Prachtstraße Avenue Charles de Gaulle gemietet, die direkt auf den Bahnhof zuläuft. Palmen säumen die Straße mit ihren Gründerzeitbauten, die aber ein bisschen in die Jahre gekommen sind. In Perpignan trifft man auf große Gegensätze: den gepflegten historischen Stadtkern und den Palast der Könige von Mallorca einerseits und andererseits das  verwahrloste Altstadtviertel der Gitans St. Jacques. Hier lebt eine große Gemeinde von Gitans, Nachfahren spanischer Kalé, die im 19. Jahrhundert ins französische Katalonien auswanderten. Im Viertel St. Jacques bilden sie eine fast in sich geschlossene Gesellschaft, von dessen Besuch mir mein Vermieter abriet. Das ist mir nicht mal in Marseille passiert.

 

In der historischen Innenstadt imponieren selbst in den engen Gassen schöne alte Bürgerhäuser. Einige konnte ich von innen besuchen, denn auf dem Weihnachtsmarkt luden mich zwei junge Frauen zu einem privaten Weihnachtsmarkt in verschiedenen Wohnungen der Altstadt ein. Junge Leute boten  in ihren Wohnungen selbst hergestelltes Kunsthandwerk, aber auch Glühwein und Kuchen an. In allen Wohnungen wurde die Musik von Schallplatten abgespielt, als wäre man kurz in die siebziger Jahre zurück gesprungen. Es war eine tolle Aktion, bei der ich viele Einheimische kennen lernte. In der Nähe der Place de la Republique liegt die interessante urbane Szenekneipe La Cour du Baron in der Rue du Théatre.

 

 

Ich fuhr Mitte Dezember mit dem Flixbus von Perpignan nach Brüssel. Der Bus kam mit einer Stunde Verspätung aus Barcelona in Perpignan am Busbahnhof hinter der Gare SNCF an. An der Spanisch-französischen Grenze streikten an diesem Tag die Grenzbeamten im Rahmen des Generalstreiks.

 

In Brive-la-Gaillarde mussten wir unangekündigt den Bus wechseln. Alle suchten ihr Gepäck zusammen wobei sich der Inhalt einiger schlechte gepackter Taschen im Buskofferraum verteilte.

 

Den neuen Bus steuerten  abwechselnd ein Mann und eine Frau, die genau einen zweistündigen Wechsel mit einer Chipkarte kontrollieren ließen. Wir fuhren die ganze Nacht, die beiden kamen beide nicht zum Schlafen. Zweimal gab es einen kurzen Stopp für einen Toilettengang in einer Autobahnraststätte. Danach mussten die Passagiere gezählt werden. Beim zweiten Mal ging einer verloren. Die beiden FahrerInnen holten die Stunde Verspätung, mit denen sie den Bus übernommen hatten, bis Brüssel wieder auf aber es war maximal stressig für sie. Ich saß in der ersten Reihe und schlief keine Minute. Als wir gegen 2 Uhr Nachts auf Paris zufuhren, leuchtete der Himmel rosa wie bei der Morgendämmerung. Es waren aber nur die Lichter der Stadt. Auf der Gegenfahrbahn standen so früh morgens schon LKWs in Kilometerlangen Staus, da wegen der Streiks die Straßen auch nachts nicht überall frei waren. Um halb neun morgens erreichten wir nach 19 Stunden Fahrt Brüssel. Die Fahrerin sagte mir, dass der Bus jetzt gereinigt werde, sie und ihr Kollege den Tag über schlafen würden und danach die Strecke mit neuen Fahrgästen wieder zurück fahren würden. Das machten sie zwei- bis dreimal wöchentlich so. So ist das, wenn die Bahn für das Arbeitsrecht streikt, aber die privaten Unternehmen, in denen niemand nach Arbeitsrechten fragen kann, weiter fahren.

Ich würde wieder nach Perpignan reisen, um ein Konzert der Désallumés mit zu erleben, obwohl leider seit den Kommunalwahlen 2020 der rechtsextreme Rassemblement National Louis Alinot, Expartner von Marine le Pen umstrittener Bürgermeister Perpignans ist.

 

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